Der Tag an dem ich zum ersten Mal reanimieren musste, hatte eigentlich normal begonnen: Ich war erst seit ein paar Wochen auf der Station und bis dahin hatte sich noch nichts dramatisches ereignet. Chemotherapien wurden angehängt, mal mehr und mal weniger gut vertragen, wir bekämpften Nebenwirkungen und Krankheitssymptome und es deutete nichts darufhin, dass sich an diesem Zustand irgendetwas ändern würde. Im Gegenteil: Ich erinnere mich noch gut daran, dass die Patientin, die wir später reanimieren mussten, an diesem Tag zum ersten Mal seit Wochen aufstand und herumlief – und dass ich mich darüber gefreut habe, weil es ihr bis dahin unter der Therapie nicht so gut gegangen war. Nach dem Mittagessen musste ich noch kurz ins Sekretariat Einstellungsformalien regeln und bin daher später auf die Station gekommen. Als ich das Arztzimmer betrat waren unsere beiden Blockpraktikantinnen dort alleine – das war ungewöhnlich. Als ich dann gefragt habe, was los sei, sagten sie „Geh mal gucken, Frau xy geht es nicht so gut.“

Ich habe dann alles, was ich in den Händen hielt einfach auf den nächsten Schreibtisch geworfen und bin losgelaufen. Über das Rondell konnte ich die Zimmertür offen stehen sehen und habe meinen Kollegen nur rufen hören, dass wir das Board brauchen – das habe ich mir dann mit dem Notfallkoffer unterwegs gegriffen, weil ich da eh dran vorbeigelaufen bin. Im Zimmer waren meine beiden Kollegen und zwei von unserem Pflegeteam bereits dabei, den Monitor anzuschließen, dann passierte alles gleichzeitig. Man ist in dieser Situation sehr konzentriert, was dann zwangsläufig zu einem maximalen Tunnelblick führt. Wir haben die Patientin auf das Board gerollt und begonnen, zu drücken, zeitgleich uns kurz über die Auffindesituation verständigt, da meine Kollegen nur ganz kurz vor mir ins Zimmer gekommen waren. Ab da lief alles schematisch. Wir drückten, bebeutelten, sahen Kammerflimmern. In der Zwischenzeit war der Herzalarm gekommen – das defibrillieren hat die Kollegin übernommen. Dann haben wir weitergedrückt. Rippen gebrochen. Gottseidank die Möglichkeit gehabt, uns abzuwechseln – wobei es noch schlimmer war, dazustehen und nichts tun zu können. Immer noch Kammerflimmern. Amiodaron, Adrenalin, alles war längst gespritzt. Vor der Tür stand der Ehemann der Patientin und weinte, drinnen standen wir – mir ging es zu diesem Zeitpunkt nicht viel besser, die Patientin war jung, hatte kleine Kinder, ich hatte sie hauptsächlich betreut. … all das schießt einem dann durch den Kopf.

Weiterdrücken, Weiterdefibrillieren. Immer noch kein Sinusrhythmus. Nach über einer halben Stunde haben wir uns dann zur Lyse entschieden. Mit dem Kommentar „das müssen wir noch probieren, die ist so jung“. Dann, endlich – Sinusrhythmus. Die Patientin ist auf die Intensivstation verlegt worden. Vor der Tür stand noch die ganze Frühschicht von unserem Pflegeteam, die hatten die ganze Zeit draußen Medis aufgezogen und gewartet, den Ehemann betreut und unsere anderen Patientenberuhigt – soweit das denn möglich war. Wir waren alle völlig verschwitzt und fertig.

Vom Rest des Tages weiß ich nicht mehr viel, nur dass wir alle mit dem Gefühl gegangen sind, „Morgen ist Sie wahrscheinlich nicht mehr da – oder Sie wacht auf und hat schwerste Hirnschäden.“ Die Patientin hat uns jedoch alle überrascht: Sie hatte bereits am nächsten Tag das volle Bewusstsein wiedererlangt. Wir konnten Sie weiter therapieren. Bis heute geht es ihr gut.

Ich bin sehr dankbar, dass bei meiner ersten Reanimation die Patientin überlebt hat. Ich weiß, wie selten das gelingt – selbst innerhalb der Klinik. Umso wichtiger war es mir, als ich Abends nach Hause ging zu wissen, dass man nicht mehr hätte machen können – dass nichts falsch gelaufen war. In einer Reanimations-Situation selbst wird jedoch immer ein gewisses Chaos herrschen – das kann man nur überwinden, in dem man genau weiß, was man zu tun hat. Deshalb halte ich Reanimationstraining für das wichtigste praktische Training des gesamten Medizinstudiums.

Mein „Erstes Mal“ – Jennifer S.
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